Ein Erlebnisbericht mit Schmunzelcharakter

Der Bec Pointu. Dieser Berg ist meine Herausforderung.

Seit einigen Jahren machen wir hier Urlaub und jedes Jahr steigen wir auf unseren Hausberg. Nein, ein Jahr war ich verschont, da ich zuvor eine schlimme Erkältung hatte und mir sagen lassen musste, dass ich auf keinen Fall auf den Berg darf. Mit einer Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung ließ ich die Freunde allein ziehen.

Bei der ersten Besteigung kamen mir am Anfang die Tränen. Ich muss hierzu allerdings sagen, dass ich nicht die Sportlichste bin. Und ohne Training im Vorfeld war es bei Sonne in der Mittagszeit eine ziemliche Tortur auf den ersten Höhenmetern.

Im zweiten Jahr hat sich ein guter Freund geopfert und mir seine Trekking-Stöcke gegeben. „Damit kommst du viel leichter hoch.“ Stimmt. Es ging leichter, wenn auch nicht leicht. Aber ich konnte sie auch noch beim Abstieg nutzen. So zog ich mich an den Stöcken den Berg hoch und kraxelte so wieder herunter. Abereins nach dem anderen.

Das Wetter sieht heute gut aus. Wir haben Ende Februar. Die Sonne scheint, es sind milde 8° am Vormittag und es soll wärmer werden – bis 17° heute. Das ist das ideale Wetter, um auf den Berg zu steigen. Der Bec Pointu ist unser Hausberg. Man kann ihn direkt von hier erklettern, aber die ideale Route beginnt am Col de la Croix auf 745 m Höhe. Der Bec Pointu ist insgesamt 1342 m hoch.

 

Insgesamt ist die Wanderung gut zu schaffen. Für Ungeübte ist sie machbar, aber auch routinierte Wanderer werden sie nicht langweilig finden. Wenn da nicht meine mangelnde Fitness wäre. Schon beim Aussteigen bekomme ich Herzklopfen. Ich frage mich, was mich mit diesem kleinen Berg verbindet. Vielleicht, weil es meine erste Gipfelbesteigung war? Nein, bereits vor vielen Jahren in einem Skiurlaub haben wir einen kleinen Hausberg bestiegen. Und schon damals habe ich das empfunden, was so viele Menschen mit den Bergen verbindet. Diese Stille und Erhabenheit – das Gefühl, wie klein wir sind und wie groß und kraftvoll die Natur ist.

 

Los geht’s. Die ersten Meter geht es leicht. Der Pfad ist gut sichtbar und trittsicher. Nach ein paar Biegungen wird es etwas steiler, aber immer noch gut zu laufen. Kurze Pause und einmal umdrehen. Der Blick über das Tal ist atemberaubend. Klare Sicht, die Sonne konturiert die Landschaft. Wir gehen weiter. Mir wird deutlich, dass ich mehr Sport treiben muss… Alle anderen schaffen die Steigungen ganz easy, nur ich beginne bereits, mich an den Stöcken nach oben zu ziehen. Aber ich schimpfe nicht, nicht über den Berg und nicht über mich. Ich atme ruhig und langsam und setze einen Schritt vor den anderen. Der Weg schlängelt sich um den Berg herum und zeigt uns immer wieder fantastische Ausblicke in die Landschaft. Auch die Natur ist abwechslungsreich. Eben laufe ich noch in der Sonne auf felsigen Wegen und zwischen knorrigen, windgebeugten Pinien, jetzt sind wir schon im Wald unter unterschiedlichen Laubbäumen. Hier ist auch unser erster Pausenplatz. Ich sitze. ‚Nur nicht zu lang, sonst willst du nicht mehr weiter‘ sagt meine innere Stimme. Und ja, als wir nach der Pause weitergehen, denke ich: ‚Wie lange eigentlich noch?‘ Aber es dauert noch. Wir laufen durch einen verzauberten Wald, finden am Wegesrand die ersten Blumen. An vielen Stellen steht der Stinkende Nieswurz. Er stinkt nicht und sieht schön aus mit seinen blassgelben Blütenkelchen. Im Spätsommer kann man hier auch wilde Orchideen finden. Und Veilchen bilden überall kleine blaue Felder.

Die Bäume werden lichter. Es wird flacher. Wir kommen auf eine kleine Ebene und dann folgt der letzte Anstieg auf den Gipfel. Es sieht aus, als brauchen wir nur noch ein paar Minuten. Aber es zieht sich hin. Und jetzt weiß ich auch, warum ich den Schal und die dicke Jacke, die ich auf dem Anstieg in der Sonne ein bisschen verflucht habe, mitgenommen habe. Hier auf dem Kamm kurz vor dem Gipfel weht ein schneidender Wind. Der Bec zeigt uns, dass es noch Februar ist.

Endlich haben wir es geschafft! Wir sind oben und machen ein kleines Picknick. Der Blick rundum ist atemberaubend. Wir sehen unser Zuhause, La Grange Vercors. Weiter sehen wir Plan-de-Baix mit dem Plateau du Vellan, dessen Gipfelkreuz auf 1034 m Höhe liegt. In der anderen Richtung ist der Tête de la Dame zu sehen, von dem aus man eine großartige Kammwanderung machen kann, die auch über den Bec Pointu von einer anderen Richtung aus zu uns führt. Wir haben uns unser Picknick verdient.

Nun geht es wieder herunter. Wer glaubt, bergab ist leichter als bergauf, der täuscht sich. Besonders am Anfang ist es sehr steil und ich bin wieder einmal froh, meine Stöcke dabei zu haben.

Die Sonne scheint und der schneidende Wind lässt nach. Ich kann die Jacke wieder um meine Hüften binden. Fast bin ich geneigt, auch den Pulli auszuziehen, so warm und mild ist es an manchen Stellen.  Ich denke: ‚Es ist doch eine so schöne Wanderung!‘ Und ja, das ist sie, immer wieder aufs Neue. Wir hören die Vögel und da ich die Besteigung des Bec schon ein paar Mal gemacht habe, spüre ich bereits die Heimat, La Grange Vercors, nahen. Aber ich weiß auch, dass es immer wieder noch einmal bergauf geht.

Endlich sehen wir den Flugplatz von La Grange Vercors, eine Bank zum Ausruhen und jetzt sind es nur noch wenige Schritte und wir sind wieder zuhause. Im Sommer ist mein erster Gang in den Pool, das ist jetzt noch ein bisschen zu kalt. Aber alle Strapazen sind vergessen und ich weiß: ich werde diese Tour wieder machen – nicht gleich, aber bald auf jeden Fall.